Neue Gebührenordnung – Risiko für die ambulante Versorgung

Neue Gebührenordnung – Risiko für die ambulante Versorgung

Heidelberg, 23.06.2025

Zwischen Ankündigung und Realität –
Warum die geplante neue Gebührenordnung ein existenzielles Risiko für die ambulante Versorgung darstellt:

Die aktuell vom Deutschen Ärztetag verabschiedete Novelle der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) steht in scharfem Widerspruch zu den seit Jahren formulierten Grundsätzen ärztlicher Selbstverwaltung und der mehrfach geforderten betriebswirtschaftlichen Absicherung ärztlicher Leistungen. Nach eingehender Analyse wird deutlich: Das vorgelegte Reformwerk gefährdet zentrale Säulen der ambulanten Versorgung und widerspricht elementaren Beschlüssen des Deutschen Ärztetages.

1. Fehlende ärztliche Selbstverwaltung im Reformprozess

Die Bundesärztekammer (BÄK) vermittelt öffentlich den Eindruck, die GOÄneu sei „mit allen Beteiligten abgestimmt“. Dies ist nachweislich nicht korrekt. Seit dem Jahr 2021 wurden die Berufsverbände und wissenschaftlichen Fachgesellschaften in den eigentlichen Verhandlungs- und Bewertungsprozess zwischen BÄK, PKV und Beihilfe nicht mehr eingebunden.

Tatsächlich lagen seit 2021 betriebswirtschaftlich fundierte ärztliche Bewertungsvorschläge vor, die Grundlage für die Verhandlungen hätten sein sollen. Doch im Verlauf der Gespräche mit den Kostenträgern wurden diese fachärztlichen Bewertungen gravierend verändert, ohne dass die betroffenen Fachgesellschaften nochmals einbezogen wurden. Die Folge ist eine GOÄneu, die mit dem ursprünglich ärztlich erarbeiteten Reformvorschlag nur noch wenig gemein hat. Die Kostenträger konnten sich durchsetzen und erstmals ein fixes Gesamtvergütungsvolumen diktieren — faktisch eine Budgetierung, die bislang in der privatärztlichen Versorgung nie vorgesehen war .

Beschlusslage Deutscher Ärztetag 2016 (I-05):
„Die Rahmenbedingungen der GOÄneu dürfen nicht dazu führen, dass die GOÄneu zu einem Honorarsteuerungssystem umgeformt wird.“

2. Aufgabe betriebswirtschaftlicher Kalkulation zugunsten politisch motivierter Honorardeckel

Der ärztliche Reformvorschlag folgte einer transparenten betriebswirtschaftlichen Grundkalkulation. Diese wurde in der jetzt vorliegenden GOÄneu systematisch verlassen. Viele Leistungen, insbesondere in den technischen, diagnostischen und operativen Fachgebieten, wurden teils um bis zu 50 % abgewertet — ohne nachvollziehbare Kalkulationsgrundlagen .

Die offensichtliche Ursache: Eine politisch gewollte Deckelung des Gesamtvergütungsvolumens, die mit den betriebswirtschaftlichen Realitäten der Praxen nichts mehr zu tun hat. Die Abkehr von der betriebswirtschaftlichen Basis führt zu einer systematischen Verschiebung hin zu einem EBM-ähnlichen Steuerungssystem – und damit faktisch zu einer staatlich beeinflussten Budgetmedizin auch im privatärztlichen Bereich.

Beschluss Deutscher Ärztetag 2017 (VI-01):
„Die Leistungsbewertungen folgen einer betriebswirtschaftlichen Grundkalkulation. Diese ermöglicht die kontinuierliche Weiterentwicklung der GOÄ.“

3. Einseitige Umverteilung und innerärztliche Spaltung

Die propagierte Aufwertung der sprechenden Medizin folgt den Forderungen nach mehr Zuwendung. Doch gleichzeitig werden die fachärztlichen, hochinvestiven Leistungen systematisch entwertet. Besonders die Radiologie, Labormedizin und operative Fächer erleiden massive Einkommensverluste.

Gerade in der Radiologie wird vollständig ignoriert, dass auch hier wesentliche Anteile sprechender Medizin erbracht werden: Befundbesprechungen, Patientenaufklärung, Interpretation von Bilddaten und Unterstützung in der Therapieentscheidung gehören zu unserem Alltag. Diese Leistungen werden jedoch künftig weder als Gespräch noch als Untersuchung mehr honoriert. Während in anderen Fächern die sprechende Leistung ausdrücklich aufgewertet wird, wird sie in der Radiologie vollständig aberkannt.

4. Hausärztliche Fehlanreize verschärfen die GKV-Versorgungsproblematik

Auch für den hausärztlichen Bereich erweist sich die GOÄneu bei genauerer Betrachtung als zweischneidiges Schwert. Zwar werden Beratungsleistungen privat höher vergütet, doch der privatversicherte Anteil liegt in den meisten Hausarztpraxen bei nur 10–20 %. Die Mehrheit der Patienten bleibt weiterhin im unveränderten, unzureichend vergüteten GKV-System.

Die neu eingeführten Beratungsziffern verlangen zudem deutlich mehr ärztliche Zeit pro Privatpatient. Damit entsteht zwangsläufig ein Verdrängungseffekt zulasten der gesetzlich versicherten Patienten. Wartezeiten werden sich verlängern, Neuaufnahmen in vielen GKV-Praxen weiter eingeschränkt werden. Dies bedeutet eine schleichende, strukturelle Verschlechterung der Versorgungssituation im solidarisch finanzierten GKV-System .

5. Die Argumentation einer Notwendigkeit zur schnellen Reform ist vorgeschoben

Die Bundesärztekammer argumentiert mit der Notwendigkeit einer längst überfälligen Novellierung. Richtig ist: Die GOÄ ist alt. Aber ebenso richtig ist: Mit der aktuellen GOÄ wird in der Praxis gut gearbeitet, wie auch die neu eingeführte UV-GOÄ im Bereich der Unfallversicherung belegt. Eine „Notfallsituation“ bestand zu keinem Zeitpunkt.

Es wäre genügend Zeit vorhanden gewesen, die Reform gemeinsam und transparent mit allen Fachgruppen sachgerecht vorzubereiten. Dies ist politisch und organisatorisch bewusst verhindert worden .

6. Drohkulisse „Bürgerversicherung“ ist vorgeschoben

Schließlich wird die Novelle mit der angeblichen Gefahr einer Bürgerversicherung legitimiert, falls keine Reform erfolge. Auch dies entbehrt jeder Grundlage: Die derzeitige Regierungskoalition verfolgt keine konkrete GOÄ-Initiative und hat keine Bürgerversicherung im Koalitionsvertrag verankert.

Fazit:

Die nun vorgelegte GOÄneu widerspricht in wesentlichen Punkten den eigenen Grundsatzbeschlüssen der Ärzteschaft, hebelt die ärztliche Selbstverwaltung aus, gefährdet zentrale Versorgungsstrukturen der ambulanten Medizin und bedroht die wirtschaftliche Existenz ganzer Facharztgruppen. Die behauptete Modernisierung ist in Wirklichkeit ein intransparentes, politisch gesteuertes Verteilungskonzept zulasten der fachärztlichen Versorgung.

Es braucht dringend eine Rückkehr zu einer sachgerechten, transparenten und betriebswirtschaftlich fundierten Neuverhandlung der GOÄ – mit gleichberechtigter und vollständiger Beteiligung der betroffenen Fachgruppen.

Anlagen zur Dokumentation (öffentlich verfügbar):

Pressekontakt:

Philip G. Petry
Facharzt für Radiologie
Eppelheimer Straße 8
69115 Heidelberg
E-Mail: info@offener-mrt.com

Pressemitteilung

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